Wir haben Fachkräftemangel im Bildungsbereich. Dabei gibt es hier viele Akademiker*innen, die im Ausland ein Hochschulstudium im pädagogischen Bereich abgeschlossen haben. Sie dürfen in Deutschland aber oft nicht in ihrem Beruf arbeiten. Wir haben Raphaela Streng, Projektleiterin der Weiterqualifikation für pädagogische Berufe im Einwanderungsland Deutschland, ein paar Fragen gestellt...
Derzeit läuft der 12. Durchgang der Brückenqualifizierung Weiterqualifikation für pädagogische Berufe im Einwanderungsland Deutschland an der Universität in Augsburg. Die Qualifizierung ist Teil des Projektes „Bildungstransfer pädagogischer Qualifikationen“ und wird als Teilprojekt in MigraNet – IQ Netzwerk Bayern finanziert.
Raphaela, im Sommersemester 2016 wurde die Brückenmaßnahme zum ersten Mal angeboten und durchgeführt. Was zeichnet den Lehrgang aus?
Dem Konzept liegt eine ganzheitliche Leitidee zugrunde. Anforderungen des Arbeitsmarkts auf der einen Seite werden mit den individuellen Bedarfen der Teilnehmenden auf der anderen Seite in Einklang gebracht. Um dieses Ziel zu erreichen, ergänzen wir die bereits vorhandenen Fähigkeiten und Kenntnisse um Inhalte, die für den deutschen Kontext relevant sind. Es geht uns darüber hinaus darum, jede*n Teilnehmer*in individuell zu unterstützen, um so der Heterogenität der Adressat*innen gerecht zu werden und eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration zu fördern. Wir legen den Fokus auf die bereits vorhandenen Fertigkeiten und Potentiale der Teilnehmenden und zielen auf eine aktive Förderung ihrer Ressourcen. In Bayern gibt es derzeit kein vergleichbares Angebot auf akademischem Niveau.
Viele Akademiker*innen mit ausländischen Qualifikationen haben Schwierigkeiten, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen oder sie arbeiten in Berufen, die nicht ihren Qualifikationen entsprechen. Auf welche Weise kann die Brückenmaßnahme an der Universität Augsburg dabei helfen, die berufliche Lage der Teilnehmenden zu verbessern?
Eine große Herausforderung besteht in der Reglementierung einzelner pädagogischer Berufe wie Lehrer*in, Erzieher*in oder Sozialpädagog*in. Diese unterliegen in Bayern strengen Vorgaben, die festlegen, dass man nur mit einem ganz bestimmten Abschluss und einer Anerkennung in diesem Beruf arbeiten kann. Ein erneutes Studium zum Erwerb des formalen, anerkannten Abschlusses ist für viele Teilnehmer*innen nicht möglich. Gleichzeitig sind viele geforderte pädagogische Fertigkeiten und Kompetenzen durch das im Ausland abgeschlossene Studium bereits vorhanden. Die Erkenntnis, diese nun beruflich nicht einbringen zu können, sorgt verständlicherweise oft für Frustration.
Unser Projekt zielt deshalb auf den Bereich der nicht-reglementierten pädagogischen Berufe ab. Dabei zeigen wir berufliche Alternativen in diesem Bereich auf und erweitern das Fachwissen der Teilnehmer*innen entsprechend. Es geht für uns also darum, die Teilnehmenden bei der Neuorientierung auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu unterstützen und ihnen Wege in geeignete Berufsfelder aufzuzeigen.
Unsere Nachbefragungen zeigen, dass gut zwei Drittel unserer Absolvent*innen mittlerweile eine berufsadäquate Stelle gefunden haben. Ehemalige Teilnehmende sind beispielsweise in der beruflichen Aus- und Weiterbildung, in schulnahen Kontexten wie der Ganztagsschule oder der Schulbegleitung, in der offenen Jugendarbeit, der Familienbildung oder der Migrationsberatung tätig.
Neben den regulären Angeboten und Inhalten unterstützt ihr die Teilnehmenden mit selbst erstellten Lehrvideos. Welche Erfahrungen habt ihr damit gemacht?
Die grundlegende Idee hinter den Lehrvideos ist, den Teilnehmenden für sie geeignete pädagogische Handlungsfelder wie die Kinder- und Jugendarbeit oder die Erwachsenen- und Weiterbildung näher zu bringen. Dies geschieht zum Teil bereits im Rahmen der Seminare; die enorme Fülle der potentiellen Handlungsfelder macht es jedoch unmöglich, dort alle Felder ausreichend darzustellen. Hier knüpfen die von uns erstellten Lehrvideos an: sie sind an die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmenden angepasst und bieten ihnen die Möglichkeit, sich selbst mit den einzelnen Handlungsfeldern auseinanderzusetzen und diese kennenzulernen. So behandeln die Videos die Struktur sowie Besonderheiten des Handlungsfelds, geben Einblick in den Arbeitsalltag in verschiedenen Einrichtungen und vermitteln Informationen zu den Herausforderungen und erforderlichen Kompetenzen. Durch die Einbettung in das Curriculum der Maßnahme stehen die Lehrvideos stets im Kontext der Seminare.
Die Vorteile eines solchen Formats liegen auf der Hand. Zum einen sind sie jederzeit erneut abrufbar und somit auch außerhalb der Seminarzeiten zugänglich. Zum anderen fördert dieses Lehrmedium das selbstgesteuerte Lernen der Teilnehmenden. Die Tatsache, das Video pausieren oder wiederholen zu können, ermöglicht es den Teilnehmer*innen, ihr Lerntempo selbst zu bestimmen.
Das Feedback zu den Lehrvideos ist durchweg positiv. Ein Großteil der Teilnehmer*innen gibt in unseren Nachbefragungen an, sich die Videos mehrfach angesehen zu haben. Im Zusammenhang mit den Lehrvideos ist zudem eine wissenschaftliche Publikation zum Thema „Lehrvideos im Kontext wissenschaftlicher Weiterbildung von Lehrer*innen“ (2021) entstanden.
Wie die gesamte universitäre Lehre steht auch euer Projekt vor den Herausforderungen der Corona-Pandemie. Wie seid ihr diesen begegnet?
Es ist uns gelungen, den Kurs rechtzeitig zum ersten „Corona-Semester“ vollständig in ein digitales Format zu überführen, ohne das Konzept oder die Inhalte grundlegend verändern zu müssen. Das war natürlich eine große organisatorische und didaktische Herausforderung. Dennoch sind wir froh, dass auf diese Weise kein Kurs ausfallen musste.
Das digitale Format setzt sich aus synchronen und asynchronen Sitzungen zusammen. Die asynchronen Elemente bestehen aus Aufgabenstellungen, die es von den Teilnehmenden selbständig innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums zu bearbeiten gilt. Dabei handelt es sich beispielsweise um die Lektüre von Texten, die Auseinandersetzung mit Videos oder die Beantwortung von Reflexionsfragen. Daraus ergibt sich insbesondere für Teilnehmer*innen mit familiären und beruflichen Verpflichtungen ein Vorteil: sie können sich die Bearbeitung der Arbeitsaufträge passend zum eigenen Terminkalender flexibel einteilen.
Daneben gibt es synchrone Sitzungen, die als Videokonferenz am Wochenende stattfinden. Die Sitzungen dienen nicht nur der Vermittlung von Inhalten mittels verschiedener Tools, sondern ermöglichen auch den Diskurs unter den Teilnehmenden und mit den Dozentinnen. Dieser fachliche Austausch ist ein zentraler Bestandteil des Projekts, der nicht zuletzt zu einer guten Vernetzung der Teilnehmenden führt. In der nach jedem Kurs durchgeführten Evaluation erfragen wir, wie es den Teilnehmenden mit dem digitalen Format ergangen ist und wie wir dieses noch verbessern können. Betrachten wir die Abschlussnoten der Teilnehmenden, so können wir keinen Unterschied zu den Kursen, die in Präsenz durchgeführt wurden, ausmachen.
Auch wenn uns der Wegfall der persönlichen Interaktion mit den Teilnehmenden schmerzt, bietet die digitale Lehre auch Vorteile. So werden von dem Onlineformat nun auch Interessent*innen angesprochen, denen die räumliche Entfernung nach Augsburg vorher zu groß erschien.
Der Erfolg dieser Brückenmaßnahme ist nicht von der Hand zu weisen. Ihr seid auch als IQ Good Practice ausgezeichnet worden. Worin besteht das Erfolgsgeheimnis des Projekts?
Die Auszeichnung zum IQ Good Practice freut uns sehr. Der Erfolg des Projekts hängt in meinen Augen von verschiedenen Faktoren ab, die auch in den regelmäßig durchgeführten Evaluationen thematisiert werden.
Einer dieser Faktoren ist sicherlich die stetige Anpassung der Maßnahme an die sich rasant ändernden Anforderungen des Arbeitsmarkts sowie die Orientierung an den individuellen (Bildungs-) Bedürfnissen und Erfahrungen der Teilnehmenden. Bereits vorhandenes Wissen und Kompetenzen miteinzubeziehen und wertzuschätzen, ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Maßnahme. Darauf aufbauend können für den Arbeitsmarkt relevante Inhalte ergänzt werden. Die Kombination aus der Vermittlung fachlichen Wissens und der kontinuierlichen individuellen Begleitung und Unterstützung der Teilnehmenden, beispielweise beim Bewerbungsprozess, ist besonders zielführend. Auf diese Weise können wir in kurzer Zeit Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt aufzeigen, in die die Teilnehmenden oftmals direkt nach Abschluss des Kurses einmünden.
Als weiterer Faktor ist das von der Universität verliehene Zertifikat bei erfolgreichem Bestehen der Maßnahme zu nennen. Es bestätigt die zusätzlich erworbenen Qualifikationen der Teilnehmenden für potentielle Arbeitgeber*innen und hilft dabei, dass die im Ausland erworbenen beruflichen Erfahrungen und Qualifikationen von Arbeitgeber*innen als solche berücksichtigt werden.
Im Sinne der Teilnehmer*innenorientierung ist es für uns zudem wichtig, die Chancen und Grenzen unseres Angebots transparent zu machen. Wir informieren die Interessent*innen im Voraus also möglichst genau über den erforderlichen Zeitaufwand, die behandelten Inhalten und den voraussichtlichen Nutzen für den Arbeitsmarkt. Auf diese Weise können wir sicherstellen, ob die Maßnahme zu den Zielen der Interessent*innen passt.
Wie sehen die Zukunftspläne der Weiterqualifikation aus?
Das Feedback der Teilnehmenden ist durchweg positiv und auch unsere Nachbefragungen zeigen, dass es vielen Absolvent*innen möglich war, nach Abschluss der Maßnahme eine adäquate Stelle zu finden. Seit einigen Semestern steigt die Zahl der Bewerber*innen sowie die der Teilnehmenden stark an. Auch von Seiten der Arbeitergeber*innen besteht nach wie vor eine hohe Nachfrage nach gut ausgebildetem pädagogischem Personal, das bereits über eine Vielzahl von Kompetenzen und im Idealfall über Berufserfahrung verfügt.
In Bayern gibt es derzeit kein vergleichbares Projekt auf akademischem Niveau, das sich auf den nicht-reglementierten pädagogischen Bereich fokussiert. Sollte unser Angebot wegfallen, können die Bedarfe einer großen Gruppe von pädagogischen Fachkräften nicht mehr bedient werden. Gleichzeitig blieben auf diese Weise viele bereits vorhandene Kompetenzen und Ressourcen für den pädagogischen Arbeitsmarkt ungenutzt.
Aus diesem Grund möchten wir das Projekt gerne weiterführen.