... Jakob Ruster von NIKO – Netzwerk Interkulturelle Öffnung Kommunen in Bayern. NIKO unterstützt, qualifiziert und vernetzt kommunale Integrationsbeauftragte und -fachkräfte in Bayern in den Themenfeldern Interkulturelle Öffnung, kommunales Integrationsmanagement sowie Willkommens- und Anerkennungskultur. Die Angebote umfassen Fortbildungen, Konferenzen, Netzwerktreffen, Info-Materialien und persönliche Beratung.
Jakob, du leitest seit 2015 das Projekt NIKO, dessen Angebote großen Anklang in bayerischen Städten und Landkreisen finden. Was zeichnet Euch aus?
Für kommunale Integrationsbeauftragte und -fachkräfte gibt es in Bayern wenig Möglichkeit für Austausch und Qualifizierung. Wir schließen diese Lücke mit zielgruppen- und bedarfsorientierten Angeboten. So bieten wir z.B. neben offenen Angeboten auch Austauschtreffen für kreisfreie Städte, Landkreise oder bald auch kreisangehörige Städte an. Unsere Informations- und Weiterbildungsangebote unterstützen kommunale Fachkräfte bei der professionellen Umsetzung und Gestaltung ihrer Arbeit vor Ort. Großen Anklang finden auch unsere Angebote zu aktuellen Themen. So haben wir Austauschrunden zur Gestaltung von lokaler Integrationsarbeit in Coronazeiten angeboten. Und auch die Frage, ob Integration überhaupt noch zeitgemäß ist, oder ob es nicht eher um eine diversityorientierte Ausrichtung von kommunalen Stellen gehen müsste, thematisieren wir in verschiedenen Formaten.
Die Relevanz von Diversity bzw. Diversity Management wird ja eher Unternehmen zugeschrieben. Warum sollten sich Kommunen und vor allem kommunale Integrationsarbeit damit beschäftigen?
Das Selbstverständnis von kommunaler Integrationsarbeit hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Migration ist vielfältiger und komplexer geworden und mit ihr auch die lokale Bevölkerung und ihre Bedürfnisse. Auch die Reduzierung von Menschen auf ihre Herkunft oder die ihrer Eltern und Großeltern steht stark in der Kritik. Integrationsarbeit muss daher stärker im Sinne einer Schnittstellenarbeit mit anderen Vielfalts- und Gleichstellungsthemen gedacht werden. Kommunale Angebote können entsprechend zeitgemäßer und zielgruppenorientierter gestaltet werden, wenn sie unter dem Aspekt von Diversity und Inklusion reflektiert werden.
Betrifft das Thema Diversity wirklich die gesamte Kommunalverwaltung?
Ja, Kommunen sind in all ihren Rollen und Handlungsfeldern gefordert. Als Arbeitgeberinnen stehen sie beispielsweise vor großen Veränderungsprozessen. Bis 2030 wird mehr als jede*r vierte Beschäftigte im öffentlichen Dienst in Rente gehen. So müssen sich Kommunen attraktiv machen für potentielle neue Mitarbeitende, die wesentlich heterogener sind und deren Ansprüche sich an eine Arbeitgeberin verändert haben. Dazu gehören Themen wie work-life-balance genauso wie der Umgang mit einer vielfältigen Belegschaft. Spannend ist also, wie Kommunen insgesamt gesellschaftlich wichtige Fragen wie Vielfalt, Inklusion und Chancengleichheit in der Verwaltung organisieren.
Und stellen sich Kommunen in Bayern bereits dem Thema Diversity? Auch strukturell und nachhaltig?
Gerade auf der Ebene der Integrationsbeauftragten und -fachkräfte in Bayern gibt es großes Interesse an dem Thema Diversity und einige interessante Ansätze, wie sich in unserer Veranstaltungsreihe zum Thema gezeigt hat. Die konkrete Umsetzung ist noch sehr unterschiedlich, aber es haben sich auch schon einige Städte und Landkreise mit neuen kommunalen Organisationsformen, sog. Vielfaltsstellen, zukunftsfähig für den Umgang mit Vielfalt aufgestellt. Dazu gehören die Städte Bamberg, Erlangen, Nürnberg, Regensburg und Würzburg, und auch in den Landkreisen Ebersberg, Kelheim und München gibt es interessante Ansätze. Wer mehr dazu wissen möchte, kann das in unserer neuen Kurzpublikation „Von interkultureller Öffnung zu kommunaler Vielfaltsorientierung – Gute Praxis in bayerischen Kommunen“ nachlesen.
Die Verankerung des Themas Diversity in einer Kommunalverwaltung ist ja eine langfristige und auch aufwendige Bemühung. Wofür braucht es denn eine Vielfaltsstelle überhaupt?
Der große Vorteil einer Vielfaltsstelle, oder wie auch immer sie dann benannt ist, liegt in der Möglichkeit Synergien zu schaffen und Parallelstrukturen von z.B. verschiedenen Gleichstellungsstellen zu vermeiden. Mit gemeinsamer Kraft und einer Vielzahl an Erfahrungen, Kompetenzen und Kontakten kann aus unterschiedlichen Perspektiven an gesellschaftlicher Chancengerechtigkeit und Teilhabe für alle Mitglieder der lokalen Bevölkerung gearbeitet werden, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Behinderung etc. Die damit verbundenen Themen und Zielgruppen können einzeln gedacht und bearbeitet, aber auch strategisch zusammen gestaltet und unterstützt werden.
Das klingt ja alles sehr spannend, aber haben Kommunen gerade in der aktuellen Situation nicht ganz andere Sorgen?
Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, alle Dimensionen einer Bevölkerung gleichermaßen im Blick zu haben und diese in ihrer Verwobenheit wahrzunehmen. In Fachkreisen wird hier von Intersektionalität gesprochen. Dabei geht es darum, dass sich bestimmte gesellschaftliche Dimensionen wie z.B. soziale Herkunft, Geschlecht, Herkunft oder Alter wechselseitig beeinflussen und zu Ausgrenzung führen können. So wird immer wieder diskutiert, ob Menschen mit Migrationshintergrund stärker von Corona betroffen sind. Bei genauer Betrachtung wird aber deutlich, dass es wichtig ist den Faktor der sozialen Lage miteinzubeziehen, dann erst kann ein differenziertes Bild gezeichnet werden. Am Beispiel der Stadt Erlangen wurde konkret deutlich, wie hilfreich es gerade in Zeiten einer Pandemie sein kann, dass eine Bevölkerung in ihrer Vielschichtigkeit und komplexen Bedürfnissen wahrgenommen werden kann. So hat das „Büro für Chancengleichheit und Vielfalt“ dort sehr erfolgreich und kompetent die städtische Corona-Taskforce beraten und unterstützen können.
Vielen Dank für das Interview! Hier finden Sie mehr Informationen über unser Teilprojekt.